Party, Party

Leseprobe

                                                       Party,

 

          Party

 

 

 

Ilke Müller

 

 

 

Neuauflage

 

© Ilke Müller  2016

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Herstellung und Verlag:

 

BoD- Books on Demand, Norderstedt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Eleonore Wingert gab es wirklich keinen Grund sich zu beklagen. Ihre kleine Partyagentur, die sie mitten im Herzen von Rheinland Pfalz betrieb, lief hervorragend. Ihr Kundenkreis erstreckte sich über die halbe Bundesrepublik, in deren Liste sich namenhafte Firmen einreihten. Alle ihre drei Teams, die jeweils aus zwei Angestellten bestanden, waren voll ausgelastet, trotz der allgemein schlechten Konjunktur. Aber genau da lag das Geheimnis. Die meisten Firmen zogen es immer häufiger vor, ihre Partys oder Geschäftsevents in den eigenen Räumlichkeiten zu veranstalten, anstatt welche anzumieten, und da bedurfte es natürlich professioneller Hilfe. Genau da kam Wingert ins Spiel. Sie zog, wenn es sein musste, ein volles Partyprogramm durch, ganz nach den Kunden-wünschen, wobei ihr oberstes Gebot »gut und günstig« lautete, gekoppelt mit ihrem Leitfaden »seriös und diskret«. Eine Methode, die den Geldbeutel der Auftraggeber schonte und ihren füllte. Sie machte dabei keine Unterschiede, ob es sich um eine kleine Familienfeier handelte, oder ein großes geschäftliches Event. Und wenn jemand nur ein paar individuelle Einladungen oder Danksagungen benötigte, so wurde auch diesem Kunden geholfen. Doch nun saß sie grüblerisch an ihrem Schreibtisch und starrte ihre Bürotür an, durch die vor wenigen Sekunden Harald Schneider ihr Büro verließ. Erneut hatte er sich über seine Kollegin Dana Petry beschwert. Seit Schneider vor einem halben Jahr in der Firma Fuß fasste, war er ständig Danas Feindseligkeiten ausgeliefert, die sie ihn verbal spüren ließ. Wobei sie nicht die Ausnahme bildete. Jeder machte sich über Schneider lustig, weil er überhaupt nicht in das Bild der Partyagentur passte. Allerdings hinter vorgehaltener Hand, während Dana es offen aussprach. In seinem Vorleben arbeitete Schneider für ein katholisches Pfarramt in Trier, und so benahm er sich in seiner ganzen Art, als wäre er der Papst persönlich. Stets in eine graue Strickjacke gehüllt, lief er in demütiger Haltung durch die Firma. Seine Stimme klang immer sehr pathetisch und andächtig und vermittelte Barmherzigkeit und Güte. Im Ganzen zeigte er sich bieder und verklemmt und achtete, stets mit ernster Miene, auf moralische Werte. Privates kam von ihm nicht zu Tage. Sein Vorleben behütete er mit der Strenge eines Schweigegelöbnis, und so konnte auch niemand begreifen, was ihn in eine Partyagentur verschlug.

 

  Oft quälte sich Wingert mit Selbstvorwürfen, über ihre Entscheidung, Schneider eingestellt zu haben, und zweifelte ihren Verstand an, der wohl damals einem Aussetzer unterlag. Aber er war durchaus ein tüchtiger Mann mit organisatorischen Fähigkeiten, allerdings mit Außendienst-arbeiten konnte sie ihn nicht betrauen. Denn das, was ihre Teams vor Ort auf den Veranstaltungen erledigen mussten, konnte sie Schneider mit seiner eigentümlichen Art nicht einsetzen. Zumal sie auch niemandem ihrer Angestellten zumuten wollte, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ihre Teams waren gut aufeinander abgestimmt und eingespielt, obwohl es durchaus vorkam, dass die Teambildung schon mal wechselte. Verzichten wollte Wingert dennoch nicht auf Schneider. Er nahm den Teams eine Menge Hintergrundarbeiten ab. Seine Aufgaben bestanden darin, die Einladungen und Danksagungen zu entwickeln und zu versenden. Da er auch über Buchhalterische Fähigkeiten verfügte, wurde er auch für das Rechnungswesen eingesetzt. Nebenher vertrat er Frau Weber an ihren freien Tagen oder vertrat sie in ihrer Urlaubszeit an der Rezeption, die für den Telefondienst und die Personalbetreuung verantwortlich war, sowie für die Lohnabrechnungen, wobei sie auch für frischen Kaffee sorgen musste. Aufgaben, die Schneider perfekt beherrschte.

 

  In Schneider hatte Dana ein Opfer gefunden, sich sprachlich an ihm zu auszutoben. Sie redete ihn nie mit dem Namen an. »Heiliger Bruder« oder »Chorknabe« waren neben vielen anderen Bezeichnungen ihre Anreden, die er kommentarlos hinnahm. Nur an ihre unsittlichen, körperlichen Attacken konnte sich Schneider nicht gewöhnen. Immer wenn Dana in sein Büro schritt, zog sie ihren Rock höher und postierte sich auf seinem Schreibtisch, wobei sie ihm ihre blanken Knie unter die Nase rieb. Schon mal hatte Schneider Kritik wegen dieser Angelegenheit angebracht, worauf Wingert ihre Angestellte zurechtwies. Allerdings hielt das nicht lange an. Sie konnte sich gar nicht erklären, warum Dana so massiv feindselig ihrem neuen Kollegen gegenüberstand. Im Grunde gehörte sie zu den hilfsbereiten und kooperativen Menschen, die bei ihren Kollegen einen hohen Beliebtheitsgrad genoss. Oft grübelte Wingert über einen Masterplan nach, um Herr der Lage zu werden. An Danas Arbeiten gab es absolut nichts auszusetzen. Sie war ein Vollblutprofi im Organisieren und Ausrichten, wobei sich ihre Erfahrungen aus ihrem beruflichen Vorleben in einem Reisebüro sehr auszahlten. Oft betätigte sich Dana auch als Reiseleiterin auf Tagestouren oder arbeitete ganze Eventreisen aus, die bei den Kunden immer beliebter wurden. Darum genoss sie auch Sonderstatus. Als alleinerziehende Mutter einer Tochter von 12 Jahren arbeitete sie nur vormittags in der Firma, den Rest erledigte sie von Zuhause aus. Doch nun war sie einfach zu weit gegangen.

 

  Eigentlich gab es für Wingert ganz andere Sorgen, als sich um die Auseinandersetzungen ihrer Angestellten zu kümmern. Ein großer Event-auftrag der Logistikfirma Schank aus Mainz lag auf dem Tisch. Eine Firma, die die Dienste von Wingert schon seit Jahren in Anspruch nahm. Ein Fall für Dana Petry und Uta Werner. Die Frauen waren aufeinander eingespielt und von Anfang an mit dem Auftrag Schank betraut und dort auch immer gern gesehen. Überhaupt erfreuten sich Uta und Dana bei der Kundschaft großer Beliebtheit, auch wenn sie schon mal unkonventionell arbeiteten und auf einigen Partys für Furore sorgten, was den Kunden allerdings mehr gefiel als Anstoß fand. Bei Wingert wiederum stießen diese Methoden auf Abneigung, weil sie auf Seriosität und Zurückhaltung großen Wert legte. Und da gab es auch noch etwas, worüber sie gerne mit Dana geredet hätte. Hier konnte sie nun mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Mit einem Seufzer betätigte Wingert einen Knopf ihrer Sprechanlage, die in ihrem Schreibtisch installiert war, und zitierte Dana zu sich.

 

 

 

Wenig später stand Dana in Wingerts Büro und ließ sich mit einer bedeutsamen Geste den Platz vor dem Schreibtisch anweisen. Ein bequemer Lehnstuhl auf Rollen.

 

  Wingert saß kerzengerade wie eine vorbildliche Gouvernante hinter ihrem Schreibtisch, die Hände ordentlich darauf abgelegt. Trotz ihrer steifen Haltung bewunderte Dana ihre Chefin. Mit ihren Anfang 50 gehörte sie zu den gestandenen Frauen. Klug, gewissenhaft, offen, stark und sah dabei noch toll aus. Ihren schlanken Körper hüllte sie stets in einen seriös wirkenden dunklen Anzug oder Kostüm. Ihre langen Haare lagen nach innen gedreht auf ihren Schultern.

 

  Wingert erhob ihren Kopf und sah auf Dana nieder. »Herr Schneider hat sich über Sie beschwert«, sagte sie kühl und emotionslos.

 

  Dana spielte die Überraschte und zog fragend ihre Brauen hoch. »Ach ja? Und warum?«

 

  Gereizt über ihr Getue beugte sich Wingert vor und sah ihre Angestellte mit zusammengekniffenen Augen an. »Sie haben Herrn Schneider unsit-tlich berührt«, entgegnete sie scharf.

 

  Dana rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. »Den Klosterjungen? Ach das stimmt doch nicht«, wies sie den Vorwurf von sich. Aber an Wingerts finsterer Miene konnte sie ablesen, dass sich ihre Chefin so leicht nicht hinters Licht führen ließ, sie kannte ihre Angestellten genau. »Na schön«, lenkte Dana ein, »mag sein, dass ich ihn heute Morgen gestreift habe, als ich an ihm vorbei bin.«

 

  Wütend schlug Wingert die flache Hand auf den Schreibtisch. Es gab einen lauten Knall, der Dana zusammenfahren ließ. Sie biss die Zähne zusammen, dass sich ihre Wangenmuskeln anspannten. »Ich möchte, dass Sie in Zukunft Ihre Finger bei sich behalten«, zischte sie, »und Ihre verbalen Attacken möchte ich auch nicht mehr hören!«

 

  Ein dicker Kloß setzte sich in Danas Kehle fest, den sie nur schwer schlucken konnte. »Aber jeder macht sich über ihn lustig«, verteidigte sie sich mit gedämpfter Stimme.

 

  »Aber niemand sagt es ihm offen ins Gesicht außer Ihnen!«

 

  »Ich sage nur, was ich denke.«

 

  »Halten Sie sich zurück.« Wingert atmete tief durch. »Ich kann Ihre Mobbingattacken gegen Schneider nicht dulden. Sie würden sich das auch nicht wünschen.« Maßregelnd sah sie ihre Angestellte an, die leicht eingeschüchtert zusammengekauert vor ihrem Schreibtisch saß. »Ich kann mir Ihre Diskriminierungen gar nicht erklären – ich hatte Sie immer für sehr tolerant gehalten.«

 

  Trotzig verzog Dana ihre Mundwinkel. »Ich fühle mich halt provoziert«, entschuldigte sie ihr Verhalten.

 

  »Beherrschen Sie sich!«, wies Wingert sie an und legte einen nach-denklichen Blick auf, »ich möchte, dass Sie sich entschuldigen.«

 

  Uneinsichtig blies Dana ihre Wangen auf. »Muss das sein?«

 

  Verärgert über Danas Verhalten zog Wingert ihre Brauen hoch und schob ihr Kinn energisch vor. Was sie jetzt sagen würde, sprach sie nicht gerne aus, aber sie erhoffte sich, endlich Ruhe in diese Angelegenheit zu bringen. Sie setzte sich aufrecht, stellte ihre Arme auf und kreuzte ihre Finger. »Frau Petry«, fing sie ruhig an, »ich zähle Sie zu meiner besten Mitarbeiterin und ich lasse eine Menge durchgehen, aber hier haben Sie deutlich Ihre Kompetenzen überschritten.« Sie schaute Dana mit Nachdruck an. »Sie sind alleinerziehende Mutter einer zwölfjährigen Tochter, und wenn Ihnen an Ihrem Job etwas gelegen ist, dann werden Sie jetzt ohne Umwege zu Herrn Schneider gehen und…«

 

  Entwaffnend erhob Dana ihre Hände. »Okay, ich habe verstanden.« Sofort erhob sie sich vom Stuhl und schob ihn schnell vor den Schreibtisch und bereitete sich auf einen schnellen Abgang vor.

 

  »Ich bin noch nicht fertig«, fauchte Wingert ungeduldig durch ihre Zähne.

 

  Dana krallte sich an der Rückenlehne des Stuhls fest. »Was habe ich denn noch verbrochen?«, war sie sich keiner weiteren Schuld bewusst.

 

  »Wir haben wieder den Auftrag von der Firma Schank in Mainz erhalten.«

 

  Verzückt legte Dana ihren Kopf schief, wobei ihr Herz freudig hüpfte. Sie liebte diesen Auftrag. Dieser Auftrag gehörte zu den größten Herausforderungen und bot die Möglichkeit, für ein paar Tage die Großstadt-metropole zu genießen, in einem guten Hotel zu wohnen und sich bedienen zu lassen. »Steht der Termin schon fest?«, holte sie sogleich Erkundigung ein.

 

  Wingert nickte lahm und nachdenklich. Ein abtrünniger Gedanke setzte sich plötzlich in ihrem Kopf fest.

 

  Erwartungsvoll schaute Dana ihre Chefin an und wartete auf die nötige Info. »Wenn Sie mir den Termin nennen würden, könnte ich mit Uta gleich loslegen.«

 

  »Frau Werner ist raus aus der Sache«, sagte sie schließlich entschlossen.

 

  »Ja aber, sie kennt sich doch mit allem aus, wir sind ein eingespieltes Team«, argumentierte Dana angespannt.

 

  »Ich habe etwas anderes für Frau Werner vorgesehen.«

 

  Mit hängendem Kopf fasste sich Dana an die Stirn. »Und mit wem werde ich…?«, hakte sie niedergedrückt und enttäuscht nach.

 

  Mit geschürztem Mund schaute Wingert ihre geschlagene Angestellte an, der sie ansah, dass bei ihr die schlimmsten Befürchtungen im Kopf herum spukten.

 

  »Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie…?« Dana brach den Satz ab, traute sich gar nicht, ihn zu Ende zu sprechen.

 

  »Auch kein schlechter Gedanke«, ließ sie bissig verlauten und war schon geneigt ihre Pläne zu überdenken.

 

  Angestrengt hielt Dana die Luft an.

 

  »Herr Schneider wird Sie begleiten«, eröffnete Wingert darauf ohne Umschweife.

 

  »Oh nein«, brauste Dana auf, »jetzt gehen Sie aber zu weit.« Sie ging ein paar Schritte zurück und fasste sich erregt an den Kopf. »Ich fahr doch nicht mit dem Klosterjungen nach Mainz.«

 

  Entspannt lehnte sich Wingert zurück. »Doch«, befahl sie gnadenlos und triumphierte über die Panik, die in Dana tobte.

 

  Fassungslos stand Dana im Raum und erhoffte sich ein kleines bisschen Güte, doch Wingerts Miene zeigte kein Erbarmen. »Was versprechen Sie sich davon? Der Mann hat doch von Partys überhaupt keine Ahnung«, begründete sie ihre Bedenken.

 

  »Herr Schneider hat durchaus organisatorische Fähigkeiten.«

 

  »Er ist ein Muttersöhnchen, der lebt bei seinen Eltern. Er kann sich nicht einmal selber versorgen«, ließ sie geringschätzig verlauten.

 

  »Seine Eltern wohnen bei ihm«, stellte Wingert richtig.

 

  Dana rang nach Luft. »Wo ist denn da der Unterschied?«

 

  »Den können Sie sich ja dann von Herrn Schneider erklären lassen.«

 

  Erschöpft sackte Dana zusammen. »Kommen Sie«, winselte Dana um Gnade und schaute ihre Chefin eindringlich an, »der Kirchenknabe hat für die katholische Kirche gearbeitet, ich muss ja bei ihm bei Null anfangen.«

 

  »Wo liegt das Problem? Sie haben acht Wochen Zeit.«

 

  Ratlos breitete Dana ihre Arme aus und suchte nach neuen Argumenten, die ihre Chefin überzeugen konnten. »Unser ehrwürdiger Vater wird mehr mit Rosenkranzbeten beschäftigt sein als mit arbeiten. Wahrschein-lich schläft der mit der Bibel unterm Kissen ein.«

 

  »Das könnte Ihnen auch nicht schaden.«

 

  Entrückt legte Dana ihren Kopf schief. »Der kriegt mir einen Herzinfarkt, wenn die Party losgeht, der Mann ist doch nicht belastbar.«

 

  »Solange Sie sich mit Ihren wilden Tanzeinlagen zurückhalten, dürfte er sich nicht in Gefahr befinden.«

 

  Dana warf pikiert ihr Kinn in Falten. »Wilden Tanzeinlagen?«, forschte sie nach und überlegte angestrengt, ob ihre Chefin über irgendetwas informiert sein könnte.

 

  »Muss ich Sie an den letzten Auftrag erinnern?«

 

  Grüblerisch zog Dana ihre Brauen zusammen. Der letzte Auftrag lag zwei Wochen zurück, eine kleine Westernparty. Sie hatte mit Uta eine Line-Dance-Einlage zum Besten gegeben. »Wir haben Line-Dance vorgeführt«, verharmloste sie.

 

  »So«, sagte Wingert ruhig mit einem Schuss Ironie in der Stimme, »mit gelupftem Rock und barfuß auf der Theke?«

 

  Dana schluckte. »Wer behauptet denn so was?«, hakte sie eingeschüchtert nach.

 

  Wingert zog eine Schublade auf und warf ein Foto auf den Tisch. Mit geweiteten Augen betrachtete Dana ihre Sünden. Sie und Kollegin Uta standen auf der Theke und rockten ab. Die Röcke hochgerafft bis an die Oberschenkel.

 

  »Sie können das Foto behalten«, sagte Wingert großzügig mit ver-ächtlichem Ton in der Stimme, »ich habe noch mehr davon auf meinem Rechner.«

 

  »Hat sich jemand beschwert?«, forschte Dana vorsichtig nach und zog langsam das Foto vom Tisch. In dem Moment fühlte sie sich als Opfer der digitalen Technik. Wie sie es hasste, dass es mittlerweile jedem möglich war, mit seinem Handy Fotos zu schießen und diese auch noch hemmungslos über den Server zu verteilen.

 

  »Natürlich nicht«, entgegnete Wingert borstig auf ihre überflüssige Frage.

 

  Erleichtert fiel Dana ein Stein vom Herzen, obwohl sie wusste, dass Wingert solche Partyeinlagen nicht mochte.

 

  »Und trotzdem«, maßregelte Wingert ihre Angestellte, »ich möchte, dass Sie sich in Zukunft an unseren Leitfaden halten.« Sie erhob erwartungsvoll ihren Kopf, wartete ungeduldig dass Dana die Leitsätze der Firma aufsagte.

 

  »Gut und günstig?«, antwortete Dana kleinlaut und löste Wut bei ihrer Chefin aus. Zornig schlug Wingert mit der Faust auf den Tisch und sprang auf. Dana scheute schnell zurück und hielt sich schützend ihre Hände vor den Körper, als vermutete sie, Wingert konnte jeden Moment wie eine wilde Raubkatze über den Tisch gesprungen kommen und sie zerfleischen.

 

  »Seriös und diskret!«, schrie sie und zeigte mit langem Arm auf die Tür, »und jetzt gehen Sie zu Herrn Schneider und reden mit ihm über den Auftrag!«

 

  Geschockt starrte Dana Wingert an. »Weiß unser Messdiener schon davon?«, stammelte sie eingeschüchtert.

 

  »Nein«, gab sie klar zu verstehen, »ich dachte, wenn Sie sich bei ihm ohnehin entschuldigen, können Sie das gleich mit abklären. Und«, betonte sie mit erhobener Stimme, »es wäre gut, wenn Sie sich dabei nicht halbnackt auf seinem Schreibtisch räkeln.«

 

  »Okay«, lenkte Dana ein, »ich werde mit unserem Ordensbruder gesittet umgehen«, spöttelte sie zynisch mit hasserfüllten Augen.

 

  Wingert holte tief Luft. »Der Mann heißt Schneider!«, schrie sie in aller Heftigkeit und buchstabierte ihr den Namen laut und deutlich, »und jetzt gehen Sie!«, befahl sie mit ausgestrecktem Arm.

 

  Erst in diesem Moment wurde Dana vollends bewusst, wie ernst es um sie stand. Mit geducktem Haupt legte sie den Rückwärtsgang ein. Sie hatte verloren, und das mit der Erkenntnis, selber an ihrem Unglück schuld zu sein.

 

 

 

Sekunden später schritt Dana den Gang herunter an ihrem Büro vorbei und steuerte wie befohlen auf Schneiders Tür zu. Dabei passierte sie die Theke der Anmeldung, wo Kollegin Weber saß und ihr einen ver-schmitzten Blick zuwarf, als ahnte sie, was Dana bevorstand, und ihr signalisierte: »Geschieht dir recht«. Dann stand sie vor Schneiders Tür und klopfte. Ein kurzes »Herein« ertönte und Dana zögerte keine Sekunde einzutreten. Sie wollte die Sache so schnell wie nur möglich hinter sich bringen, auch wenn noch ein langer Rattenschwanz folgte. Mit verschränkten Armen stellte sie sich in die offene Tür, verzichtete dabei auf ihre anstößigen Gewohnheiten.

 

  Zusammengefahren tauchte Schneider hinter seinem Monitor ab. Nur aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er den grimmigen Blick seiner Kollegin, die am Türrahmen stehen blieb. Im Stillen betete er, dass sie sich schnell in Wohlgefallen auflöste und ihm nicht wie gewohnt ihre Knie unter die Nase hielt.

 

  »Herr Schneider«, hörte er plötzlich ihre grimmige Stimme, »Sie haben sich beschwert.«

 

  Ein kurzes Nicken gab er zur Antwort und blinzelte verstört über seinen Monitor. »Sie kennen meinen Namen?«, bemerkte er erstaunt und zeigte sich kurzfristig und ungewöhnlich von der spontanen Seite.

 

  »Ich kann ihn sogar schreiben«, presste sie wütend hervor, »Wingert hat ihn mir eben buchstabiert.«

 

  Verängstig tauchte Schneider wieder ab und rieb sich den Nacken. »Und was wollen Sie jetzt von mir?«

 

  »Ich möchte mich entschuldigen«, sagte sie kühl und schob ihr Kinn vor, »es tut mir leid.«

 

  Verwirrt riss Schneider seine Augen auf, die tief schwarz glänzten, und starrte seine Kollegin knapp über seinen Monitor an, deren Blicken er sonst immer auswich.

 

  Was für eine Verschwendung an männlichem Material, durchfuhr Dana ein Gedanke. Das Muttersöhnchen erfüllte äußerlich alle Kriterien, die eine Frau glücklich machen konnten, und sollte eigentlich mit seinen 38 Jahren vor Erfahrung strotzen. Er war zwar kein Riese, sah aber gut aus. Markantes Gesicht, schwarze kurze Haare, leicht gewellt und zurückgekämmt, aber leider menschlich und männlich ein totaler Versager. Bieder, verklemmt und zugeknöpft. Er trug immer eine graue Strickjacke, selbst bei 30 Grad im Schatten, als habe er einen körperlichen Makel zu verbergen. Dabei glaubte Dana, dass er seinen Körper nicht verbergen musste. Der Festigkeit seines Hinterteils nach steckte ein durchtrainierter Body in dem zugeknöpften Outfit.

 

  »Was ist?«, stellte Dana missgelaunt eine Frage, »nehmen Sie die Entschuldigung an?«

 

  Schneider nickte. »Ja«, antwortete er knapp und versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren, und hoffte, dass seine Kollegin endlich verschwand und sie ihm endlich den erhofften Respekt entgegen brachte.

 

  »Gut«, hörte er sie antworten, »das ist auch vernünftig so«, befand sie. Dann nahm er aus seinen Augenwinkeln wahr, wie sie langsam an seinen Schreibtisch trat. Mit panikerfüllten Augen schlugen seine Finger in kurzen Intervallen auf den Unterlagen herum und warteten auf eine Bosheit von seiner Kollegin, die aber plötzlich vor seinem Schreibtisch stehen blieb und sich irgendwie anders verhielt als sonst. »Wir zwei müssen nämlich einen Auftrag ausführen«, führte sie ihre Erklärung fort und lächelte hinterhältig auf ihn nieder.

 

  Schneiders Körper fing an zu beben. »Wir sollen was?«

 

  »Zusammen arbeiten. Im Projekt Schank in Mainz.«

 

  Schneiders Augen, die auf den Monitor gerichtet blieben, weiteten sich. »Mainz? Das heißt, wir müssen zusammen auch da hin?« Nur mit Wider-willen schaute er kurz zu seiner Kollegin auf und nahm mit Bestürzung ihr Nicken auf. »Das kann ich nicht«, lehnte er zusammengesackt ab und schlug nervös seine Fingerkuppen aneinander, »ich werde mit Frau Wingert reden.«

 

  Dana genoss die Angst, die sich bei Schneider ausbreitete und ihn regelrecht durchschüttelte. Schmunzelnd legte sie den Rückwärtsgang ein. »Dann versuchen Sie mal Ihr Glück.«

 

 

 

Uta zeigte sich wenig erfreut, als Dana ihr das Foto von ihrer Partyeinlage auftischte. Zischend zog sie Luft ein und blickte auf das Foto nieder. »Hat sich jemand beschwert?«, war gleich ihre erste Frage.

 

  »Nein, eher im Gegenteil«, antwortete Dana und nahm Erleichterung in Utas Gesicht wahr, »aber trotzdem«, wiederholte Dana überschwänglich die Worte ihrer Chefin und parodierte sie weiter nach, »ich möchte, dass Sie sich an den Leitfaden der Firma halten.« Sie gestikulierte übertrieben mit den Händen und nahm gar nicht wahr, dass Uta in Deckung ging. »Seriös und diskret!«, rief sie theatralisch durch den Raum.

 

  »Ich bin doch überrascht, wie gut Ihr Gedächtnis funktioniert«, hörte sie plötzlich Wingerts Stimme im Nacken.

 

  Dana erstarrte. Nur zögerlich drehte sie sich nach ihrer Chefin um, die ihr einen zusammengefalteten Zettel vor die Augen hielt, den sie ihr am liebsten in ihren vorlauten Rachen gestopft hätte.

 

  »Hier«, entgegnete sie kühl, »Ihr Auftrag.«

 

  Kleinmütig über ihre eigene Unverfrorenheit nahm Dana das Schreiben entgegen. »Unser Sensibelchen hat aber Bedenken«, teilte Dana gedämpft mit.

 

  Sensibelchen überhörte Wingert großzügig. »Es bleibt dabei«, gab sie zu verstehen und drehte sich postwendend um und verschwand.

 

  Erschöpft sackte Dana zusammen und schaute ihrer Chefin hinterher.

 

  »Auftrag? Sensibelchen?«, erkundigte sich Uta verwirrt.

 

  In knappen Sätzen erläuterte Dana, was Wingy, so nannte sie ihre Chefin gerne, wenn sie sich nicht in der Nähe aufhielt, von ihr abverlangte.

 

  Unschlüssig, ob Uta lachen sollte, oder Mitleid aufbringen für ihre Kollegin, erstarrte sie kurz und entschied sich dann für ein geschocktes Lachen. »Fährt Schneider etwa mit nach Mainz?«, war sie sichtlich ent-täuscht, dass ausgerechnet der Messdiener ihren Platz einnehmen sollte.

 

  Dana nickte.

 

  »Ich nehme an, du hast ihn nicht in das eingeweiht, was da vorgeht.«

 

  Entrüstet grunzte Dana. »Natürlich nicht – dann kann ich ja gleich bei Wingy eine Beichte ablegen.« Wenn sie sich offenbarte, würde ihre List auffliegen, die sie jedes Jahr anwandte, um einen gewissen Showakt auf der Veranstaltung durchziehen zu können.

 

  Uta legte eine bedenkliche Miene auf. »Schneider bekommt einen Herzinfarkt und Wingert wird alles erfahren und uns den Kopf abreisen, wahrscheinlich lässt sie künftig den Auftrag sogar platzen.«

 

  »Was soll’s«, fand sich Dana schließlich ab, »dann ist es eben unser letzter Auftrag in Mainz – aber dafür wird es der spaßigste.« Ein amüsiertes Lächeln zog sich über Danas Gesicht, was zu einem diabolischen Grinsen mutierte. Der Gedanke, Kollege Schneider die Krone des moralischen Abschaums aufsetzen zu können, erfüllte sie mit Freude. Sie sah darin ihren persönlichen fulminanten Abgang von Schanks Bühne.

 

  »Dann bereite dich schon mal auf eine Menge Ärger vor – Wingert wird außer sich sein, wenn Schneider Bericht erstattet.«

 

  »Das stehe ich durch«, nahm Dana es gelassen und vertraute auf ihre hinterlistige Absicherung und konnte es kaum abwarten, Schneider diese Lektion zu erteilen.

 

  Plötzlich, wie aus einer schlechten Vorahnung heraus, senkten sich Danas und Utas Blicke und ruhten grüblerisch auf dem Foto. Eigentlich war es nur noch eine Frage der Zeit, wann die Beiden aufflogen und erneut der digitalen Technik zum Opfer fielen. Nur gut, dass sie zum Selbstschutz ein gutes Alibi vorweisen konnten.

 

 

Lust auf mehr?

 

Dann schnell in den Handel!!!

 

 

 

 

 

 

ISBN: 978-3-8482-0294-2

 

S.: 152

 

Preis: 6,99 €

 

 

 

Erhältlich im Buchhandel oder allen bekannten Online- Shops

 

Auch als E-Book